Was veranlaßt uns dazu, Psychotherapeuten zu werden?

Über die Risiken und die notwendigen Veränderungen unserer Motive.

Dr. W. Dorrmann (1995)

Meiner Erfahrung nach gibt es wenige Menschen, denen die üblichen Vorurteile über Psychologen insbesondere über Psychotherapeuten und Psychiater, was die Motive ihrer Berufswahl anbetrifft, unbekannt sind. Ich glaube diese Motive sind so offensichtlich, daß es vielleicht aus diesem Grund bisher niemand unternommen hat, diesem Phänomen auf die Spur zu kommen. Leider werden diese Motive in der Regel sehr negativ beurteilt ("Die haben doch selber eine Meise!"). Sogar unter Kollegen/innen wird manchmal z.B. von den "drei Teufeln" gesprochen, die auf den Schultern des Psychotherapeuten (oder der Psychotherapeutin) sitzen und ihm ins Ohr flüstern: Die Neugier, das Bedürfnis nach Macht (sozialer Kontrolle) und das Helfenwollen.

Ich finde diese Ansichten zum Teil problematisch und möchte mit der folgenden Tabelle zu einer differenzierteren Sicht beitragen. Hier sind die meiner Meinung nach 5 gängigsten spezifischen Motive für die Wahl dieses Berufes aufgelistet:

  • links, wie sie in ihrer problematischen Form auftreten, und sich entwickeln, wenn keine Reflexion oder Eigentherapie stattfindet,
  • in der Mitte, in einer Ausprägung, wie sie durchaus sinnvoll oder - ich würde sogar sagen - notwendig sind
  • und rechts (also in Pfeilrichtung), die positiven Möglichkeiten, die ein zunächst problematisches Motiv in sich birgt, wenn in der Ausbildung, Supervision oder Eigentherapie diese Ressourcen genutzt werden. In dieser Spalte sind auch spezifische therapeutische Fähigkeiten aufgelistet, die in einem solchen Prozeß entstehen können. Sie sind in dieser Ausprägung für die Arbeit mit dem Patienten/Klienten dann auch sogar gewinnbringender als die unproblematischen und eher neutralen Ausgangsmotive in der Mitte.
Problemträchtige Motive
und deren Risiken
Persönliche Motive
(die gängigsten)
Professionelle Qualitäten
und deren Spezifizierung
Voyeurismus -- >
Bevorzugung "interessanter" Patienten und Inhalte
Neugier -->
auf Menschen, auf Lebensverläufe, Persönlichkeits-
entwicklung etc.
therapeutisch relevantes Interesse
z.B. unterscheiden lernen zwischen persönlicher Neugier und therapeutischem Interesse
Eigene psychische Probleme -->
Kapitulation und Resignation
Helfen als Kompensation von Einsamkeit
sich selbst helfen wollen -->
(Eigentherapie)
Spezialist für bestimmte Störungen
z.B. persönlicher Optimismus,daß schwierige Lebensgeschichten u. Probleme bewältigt werden können und die Einsicht, dass die selbstgefundenen Methoden der Lösung nicht für alle Menschen sinnvoll sein müssen (z.B. Ex-User).
Helfersyndrom -->
Helfen als Grundlage für die eigene Existenzberechtigung
 
Helfen wollen --> Ethische Grundlagen
z.B. Orientierung am Emanzipationsgedanken, Selbstmanagement, Hilfe zur Selbsthilfe o.ä.
Die Vorstellung von und das Ziel einer "durchanalysierten" Persönlichkeit -->
Guru bzw. Halbgott in Weiß vs.
Selbstwertprobleme durch mangelnde Zielerreichung
Bedürfnis nach Selbsterfahrung --> persönliche Weiterentwicklung durch lebenslanges Lernen
z.B. Bemühen um Toleranz, Offenheit für Tabus, Erweiterung der eigenen Verhaltens- und Erlebensmöglichkeiten und die Einsicht, dass Probleme zum Leben gehören.
Machtbedürfnisse -->
sich selbst `nicht einlassen können'
Angst vor sozialer Kontrolle
Manipulation
negative Gegenübertragungen
soziale Beeinflussung lernen --> Beeinflussung zum Wohle des Patienten
z.B. Reflexion der eigenen in die therapeutische Arbeit einfließenden Ziele durch Supervision und die Entwicklung der Fähigkeit "Ohnmacht" aushalten zu können, wenn es angebracht ist.

 

 


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Letzte Bearbeitung: Sonntag, 22. Februar 2009