Psychotherapie bei traumatischen Erlebnissen

von Dr. Wolfram Dorrmann, Bamberg

Inhalt:

  1. Einführung in den vorliegenden Text
  2. Allgemeine Hinweise zur Arbeit mit Regression und Trance
    Indikation - Kontraindikation - Setting
  3. Die 7 Schritte der Identifikation und Bearbeitung traumatischer Erlebnisse
    Abbildung 1: Das Prozess-Modell der 7 Schritte
  4. Die Fragwürdigkeit von erinnerten Traumata
    Das False-Memory-Syndrom (FMS)
  5. Konkrete Techniken für die Umsetzung der 7 Schritte
    Detaillierte Beschreibung der einzelnen Techniken zur hypnotherapeutischen Traumabearbeitung
    Schritt 1-4 | Schritt 5 | Schritt 6-7
  6. Ergänzende Interventionstechniken für Problemsituationen
    Verpackungstechniken - Veränderungstechniken
  7. Anhang: Zitierte und weiterführende Literatur sowie
    Links zum Thema: Arbeit mit Regression & Trance

A: Einführung

Wenn die aktuellen Probleme von Klienten sehr eng mit traumatischen Phasen ihrer Lebensgeschichte verknüpft sind, ist man meist an die Grenzen rein verbaler oder verhaltensorientierter Interventionen angelangt. Wenn Worte nicht mehr reichen, müssen andere Veränderungsmöglichkeiten genutzt werden. Im folgenden Konzept werden ausschließlich solche Strategien und Techniken zur Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen dargestellt, welche über innere Bilder und hypnotische Zustände zu Veränderungen im psychischen und körperlichen Erleben des Patienten führen.
Diese Methoden sind abgeleitet aus der Hypnotherapie, Hypnoanalyse, der Transaktionsanalyse und dem NLP (Altersregression, Affektbrücken, hypnoprojektive Techniken, Dissoziation, Parenting, Reparenting, versch. Ich-Zustände, Zeitlinien, Zeitprogression, Submodalitäten u.v.a.). Sie werden, soweit dies über einen Text überhaupt möglich ist, detailliert dargestellt und in ein allgemeines 7-stufiges Interventionsschema integriert. Die Ursprünge dieses Schemas gehen zurück auf Dipl.-Psych. Ortwin Meiss (Hamburg) und Dipl.-Psych. Manfred Prior (Frankfurt), die beide das Milton-Erickson-Institut in Hamburg leiten.
Leider ist es nicht möglich, diese Methode alleine durch die hier angebotenen Texte zu erlernen. Psychotherapeuten jedoch, die Erfahrung mit der Bearbeitung traumatischer Erlebnisse haben oder über eine Ausbildung in klinischer Hypnose verfügen, werden diese Seiten - nach meiner Einschätzung - mit großem Gewinn für die eigene Arbeit lesen. Die vorliegenden Texte gründen auf den Arbeitspapieren eines Seminars zu diesem Thema, das ich in den letzten Jahren sehr häufig abgehalten habe.

"Außer ein paar handfesten Lebensregeln
sind gute Erinnerungen das Beste,
was man Kindern mitgeben kann"
(Sidney J. Harris)

Wenn Sie ein solches Seminar in Ihrer Institution abhalten möchten, klicken Sie es an, Sie erhalten dann nähere Informationen dazu.

Wenn Sie sich nur für Hypnose und Hypnotherapie interessieren, finden Sie einen interessanten und sehr ausführlichen Artikel von Prof. Dirk Revenstorf auf der Homepage der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose e.V. (M.E.G.): http://www.milton-erickson-gesellschaft.de


B: Allgemeine Hinweise zur Arbeit mit Regression und Trance

Indikation - Kontraindikation - Setting

1. Indikation:

Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Methode ist sehr weit gefaßt. Sie kann für ganz akut und schwer traumatisierte Patienten eingesetzt werden aber auch bei lang vergangenen traumatischen Ereignissen oder Lebensphasen (sog. "komplexe posttraumatische Belastungsstörung"; nach J.L.Herman, 1993) bis hin zu harmloseren ungünstig assimilierten Kindheitserfahrungen Anwendung finden.

a) Bei bewussten Traumata: Wenn unverarbeitete traumatische Ereignisse die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten und Lernprozesse offensichtlich behindert haben oder eine an der aktuellen Situation ansetzende Therapie behindern.

  • Menschen die sexuelle Übergriffe, Gewalt/Folter oder schwere Unfälle erleben mußten.
  • Nachholen von Trauer: Verabschiedung von Eltern oder (Ex-)Partnern, oder nahestehenden verstorbenen Personen.

b) Bei Hinweisen auf unbewusste Traumata: z.B.

  • Ptn, die bei kleinen Störungen oder Konflikten zu unangemessenen Schreckreaktionen, Gekränktsein, extremer Eifersucht etc. neigen.
  • Normalerweise friedliche Menschen, die aber manchmal sogar durch Kleinigkeiten so gereizt werden können, daß sie sich selbst nicht wiedererkennen.
  • Sozial kompetente Klienten, die aber manchmal doch Situationen erleben, bei denen sie hinterher den Eindruck haben, sie standen daneben, waren nicht sie selbst, es fehlten ihnen die Worte, fühlten sich wie gelähmt.
  • Ptn die unter Alpträumen oder unter unklaren Durchschlafstörungen leiden.
  • Bei chronischen Schmerzen, die mit einem "schmerzvollen" psychischen Erlebnis in Verbindung stehen können.
  • Wenn die Therapie trotz guter Motivation und guter Beziehung zum Th. stagniert oder der Th Widerstand beim Pt vermutet.

c) In Kombination mit hypnoanalytischen Verfahren (nach Eisen & Fromm, 1983 bzw. Copeland, 1986) bei Störungen in der Entwicklung von Selbst- und Objekt-Repräsentanzen (Ptn mit sog. frühen Störungen; Borderline bzw. Ptn mit posttraumatischer Belastungsstörung)

2. Kontraindikation:

  • Psychose
  • Wenn es zur eigenen Identität gehört, ein Trauma zu haben (sek. Gewinn?!)
  • In einer akuten Krise (Trennung, Suizidtendenzen)
  • Vor einer problematischen Situation (Prüfungen etc.)
  • Wenn die Erwartungen zu hoch sind (Alle Probleme sollen dadurch gelöst werden)
  • Wenn die aktuelle Problemsituation immer diesselbe ist oder ganz klar umrissen werden kann (z.B. Prüfungsangst)
  • Angehörige od. Partner meinen, der Pt sollte "seine Kindheit verarbeiten"

3. Setting:

  • Ausreichend lange und gute Beziehung zum Therapeuten (mehr als 5 Sitzungen)
  • Störquellen, wie Telefon oder andere mögliche signifikante Reize wenn möglich ausschalten.
  • Genügend Zeit zum Durcharbeiten des Erlebnisses zur Verfügung haben (mind. 30 Min.). Man sollte also nie mit einem solchen Prozeß beginnen, wenn die Hälfte der Sitzung schon vorbei ist.
  • Bei extremen Traumatisierungen eine angemessene Anzahl (> 10) von weiteren kontinuierlichen Sitzungen (= nicht vor einem Urlaub damit beginnen). Manchmal sind auch mehr als eine Sitzung pro Woche notwendig.
  • Sitzhaltung: So nah, daß man die physiologischen Abläufe beim Klienten gut wahrnehmen kann und so, daß die normale Blickrichtung des Klienten etwas abgewandt ist (also nicht direkt gegenüber).
  • Papiertaschentücher

C: Die sieben Schritte der Identifikation und Bearbeitung traumatischer Erlebnisse

Die folgenden sieben Schritte können in der Regel innerhalb einer Sitzung mit dem Klienten durchlaufen werden. Sie werden hier zunächst nur ganz grob beschrieben und danach im Text nochmal einzeln im Detail ausgeführt.

  1. Laß deinen Klienten (bzw.Übungspartner) ein Erlebnis aus der jüngeren Vergangenheit finden, wo er sich "klein" und oder der Situation im Verhalten nicht angemessen gefühlt hat (= Spontanregression bzw. Problemtrance).
  2. Etabliere dann bei deinem Klienten durch geeignete Fragen ein inneres Bild von dieser Situation und orientiere seine Wahrnehmung auf die dazugehörigen Gefühle und entsprechenden körperlichen Reaktionen.
  3. Laß ihn dann mit diesem Gefühl innerlich zu dem Ereignis zurückgehen, wo dieses Gefühl zum erstenmal in seinem Leben aufgetreten ist.
  4. Ist er dort angekommen, so hilf deinem Kl. durch Fragen, die relevanten Aspekte des Erlebnisses auf allen Wahrnehmungskanälen mit entsprechenden Submodalitäten zu erinnern.
  5. Nun sind verschiedene therapeutische Strategien / Techniken möglich:
    a) Therapeutische Stellungnahme zum Problem der Schuld bzw. Verantwortlichkeit der Personen in der konkreten Situation
    b) Dissoziation des Erlebnisses zur Schaffung von innerer Distanz.
    c) Herausstellen einer mit dem Erlebnis assoziierten wichtigen Erkenntnis oder eines sinnvollen positiven Lerneffektes und Neuassoziation mit einer anderen Erinnerung.
    d) Die hinter den vordergründigen Gefühlen stehenden Gefühle oder Bedürfnisse entdecken lassen (oft Wut und/oder Trauer).
    e) Bewertung des Geschehens aus der Sicht des erwachsenen Klienten oder von möglichen wohlgesinnten Bezugspersonen.
    f) Neuerleben der Situation durch Einbeziehen dieser unterstützenden oder beschützenden Person (= Reparenting).
    g) Dem "Kind" in der Situation Geschichten erzählen, oder ihm klarmachen, daß mit diesem Ereignis "das Leben nicht zu Ende ist", wie es vielleicht annimmt.
    h) Der Situation eine Lebensgeschichte zugrundelegen, welche die Entwicklung von Eigenschaften ermöglichte, mit einer solchen Situation optimal umzugehen (Change history).
    i) Bisherige Lösungen u. -versuche herausstellen und positiv konnotieren.
    j) Lösungen, die vom Klienten in anderen Bereichen entwickelt wurden, auf die traumatische Situation übertragen lassen (= Resourcen nutzen).
    k) Die Zielrichtung des Verantwortlichen in Frage stellen od. seine Defizite herausarbeiten. Was hätte er an Wissen oder Erfahrungen haben müssen, damit er sich besser verhalten hätte?. Situation mit der "therapierten" Person vorstellen lassen, die diese wichtigen Erfahrungen gemacht hat (= Parenting).
    l) Das Problemverhalten in einen anderen Rahmen stellen
    m) Submodalitäten erfragen und verändern lassen (evtl. auch ergänzend!).
  6. Bei bzw. nach jeder einzelnen Intervention den Kl. assoziieren lassen und auf die entsprechenden Wirkungen wie veränderte Körpergefühle, Glaubenssätze oder Submodalitäten fokussieren lassen, um diese Veränderungen noch zu stabilisieren!
  7. Mit dem Gefühl die "vergangene" und weitere Zukunft betrachten und neu erleben.

Legende
A Situation, in der die unangemessenen Körpergefühle auftreten
KG unangemessene Körpergefühle
B Situation in der Vergangenheit, die mit der gegenwärtigen Situation in Verbindung steht (Trauma, traumatische Lebensphase, ungünstig assimilierte Erf.)
+ der positive Aspekt der traumatischen Situation (= Erkenntnis, Fähigkeit)
C eine positive Situation, in der der positive Aspekt vom Patienten / der Patientin optimal angewendet werden konnte
B' eine durch die therapeutischen Interventionen (5a-m) veränderte Imagination (= "retroaktive Halluzination" nach Bernheim)
KG' KG´= das mit der veränderten Erinnerung einhergehende neue (neutrale/positive) Körpergefühl

 


D: Die Fragwürdigkeit von erinnerten Traumata

In den letzten Jahren wurde das Problem des False-Memory-Syndroms (FMS) vor allem in den USA diskutiert und dessen juristische Relevanz in vielen Prozessen herausgestellt. Sicherlich existiert dieses Phänomen, denn man kennt aus der Arbeit mit hypnotischen Techniken ein verwandtes, das der Pseudoerinnerungen in der Zeit (Orne 1979, Klein u. Guze 1951) oder auch retroaktiven Halluzinationen genannt (Bernheim 1888). Es ist sehr wahrscheinlich, daß Pseudeoerinnerungen Folgeeffekte von Alltagstrancezuständen sind. Viele Praktiker berufen sich leider immer noch auf die sogenannte Videorecordertheorie des Gedächtnisses (Penfield & Roberts 1977) obwohl diese schon lange nicht mehr dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. So stellt der Amerikaner John Kotre (1996) in seinem inzwischen übersetzten Buch Weiße Handschuhe die dazu vorliegenden Forschungen und seine sehr differenzierte theoretische Sicht von Gedächtnis- und Erinnerungsprozessen dar: von Verdrängung und Neuinterpretationen, von suggerierten und falschen Erinnerungen.
In der Praxis sollten diese Phänomene nicht übersehen werden - vor allem wenn juristische Konsequenzen erwogen werden oder nötig werden sollten. Therapeutisch allerdings ist eine solche Erinnerung genauso ernst zu nehmen, wie z.B. Alpträume, die seelisch genauso belastend sein können, wie "reale" Erinnerungen. Auch diese sind mit der hier beschriebenen Methode behandelbar. Es ist ja auch nicht die Vergangenheit selbst, die aktuell Probleme verursacht. Die Vergangenheit hat keine Wirkung mehr, denn sie ist vorbei. Es ist die Erinnerung an die Vergangenheit, die störend wirken kann. Wenn diese Erinnerung nun im Laufe der Jahre Veränderungen erfahren hat, was sehr wahrscheinlich ist, so können diese Veränderungen negativer oder positiver Natur sein. Entsprechend ist dann auch der Grad an notwendiger therapeutischer Hilfe unterschiedlich.

 

 


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Letzte Bearbeitung: Sonntag, 22. Februar 2009