Die Ängste von Psychotherapeuten bei ihrer Arbeit mit suizidalen Patienten*)
Erste Ergebnisse einer Untersuchung bei 293 Psychotherapeuten
Wolfram Dorrmann (1996).
Ausgangspunkt für die Studie¹), über die hier berichtet
werden soll, war die Selbsterfahrungsphase, die ich meinen Fort- und Weiterbildungsseminaren
zum Thema Suizidprävention²) bisher immer voranstelle. In den
dabei verwendeten Übungen geht es vor allem darum, die Teilnehmer
anzuleiten, sich mit ihren Befangenheiten und Ängsten bezüglich
des Themas Suizid auseinanderzusetzen. In den anschließenden Auswertungsgesprächen
wurden meist sehr intensive aber auch inhaltlich sehr unterschiedliche
Ängste geäußert. Aus diesen Diskussionsergebnissen habe
ich einen Fragebogen zur Selbstreflexion erstellt, den inzwischen alle
Teilnehmer zu Beginn und am Ende des Seminars ausfüllen. Er enthält
sowohl Ängste, die mehr mit der Persönlichkeit des Therapeuten
in Verbindung stehen, als auch Ängste, die sich eher auf seine therapeutischen
Kompetenzen beziehen (s. Tab. 1). Anfänglich sollte dieser Fragebogen
nur dazu dienen, die Selbsterfahrungsphase im Seminar zu verkürzen
und zu effektivieren. Nach einiger Zeit fand ich das Thema auch wissenschaftlich
interessant und begann, die Fragen zusammen mit einigen persönlichen
statistischen Daten zu erheben, um sie irgendwann auszuwerten.
¹ ) Diese Studie konnte natürlich
nur durch die Mitarbeit der Seminarteilnehmer und durch das Interesse der
Einrichtungen und Ausbildungsinstitute, die diese (19) Seminare planten
und organisierten, zustande kommen. Ihnen sei hiermit herzlich gedankt:
Abt. Klin. Psychologie der Univ. Mainz, APV (Münster), CIP (München),
DGVT (Tübingen), DPA-F (Freiburg), FIKV (Bad Pyrmont), IFT (München),
Krisendienst HORIZONT (Regensburg), Krisendienst Würzburg, WKV (Marburg),
IWVT (Hamburg).
Für die Unterstützung bei der Eingabe der Daten
und Nachhilfe in der statistischen Auswertung bedanke ich mich bei Iris
Storck, Dr. Rüdiger Hinsch und Prof. Hans Reinecker.
²) "Suizidalität während der Therapie:
Therapeutische Interventionen bei Selbsttötungsabsichten - Ein
Trainingsseminar"
*) Dorrmann, W. (1996). Ängste von Psychotherapueten
bei ihrer Arbeit mit suizidalen Patienten. Erste Ergebnisse einer Untersuchung.
In Dorrmann (1996) S.153-163
Der Suizidforscher Hermann Pohlmeier hat schon vor Jahren (1982) auf
das Problem der Ängste von Psychotherapeuten, die mit akut suizidalen
Patienten konfrontiert sind, aufmerksam gemacht. Er spricht vor allem von
"... fünf Formen der Angst, die in diesem Praxisfeld zu bewältigen
sind, nämlich die Angstvor der Ohnmacht, die Angst vor der Aggression,
die Angst vor Tod und Sterben, die Angst vor Strafe und die Angst vor Identitätsverlust
(Pohlmeier 1982, S.169). Wie in der Tabelle 1 unschwer erkennbar, tauchen
diese fünf Ängste, in etwas anderen Formulierungen, auch hier
auf (Item 15, 8, 1, 7 u. 9):
Fragebogen:
Schätzen Sie bitte ein, wie stark Sie die folgenden Ängste
Ihren suizidalen Patienten gegenüber erleben.
A. Persönlichkeitsspezifische Ängste: |
|
1. Grundsätzliche Angst vor
den Themen "Tod" und "Sterben" --------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 ---
0 |
2. Vermeidung des Themas wegen möglicher eigener
Suizidalität bei ähnlichen Lebenssituationen
(Angst vor dem eigenen Zustimmen) --------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
3. Angst vor den möglichen intensiven
Gefühlen des Klienten -------------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
4. Scheu, den Kl. mit seinem bisherigen
"Versagen" im Leben zu konfrontieren ------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
5. Eigene religiöse/eth. Unsicherheiten oder
Festgelegtheit bzgl. des Themas -------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
6. Angst vor der Verantwortung -------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
7. Angst vor den Konsequenzen
eines Patientensuizids ---------------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
8. Angst vor möglichen aggressiven
Impulsen des Patienten -------------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
9. Angst, den eigenen Lebenssinn
hinterfragen zu müssen -----------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
B. Ängste, bezogen auf
die therapeutischen Kompetenzen: |
10. Angst vor Fehleinschätzung und den
damit verbundenen Konsequenzen ---------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
11. Angst, den Patienten durch das Ansprechen
`erst auf die Idee zu bringen' -----------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
12. Angst vor dem Manipuliertwerden durch
den Patienten ------------------------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
13. Angst vor mangelndem
eigenem Einfühlungsvermögen --------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
14. Angst, die dem Thema angemessene
Sprache nicht zu finden ------------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
15. Angst, keine Interventionsmöglichkeiten
zu bieten zu haben ------------------------------> |
5 --- 4 --- 3 --- 2 --- 1 --- 0 |
Den Fragebogen aus dieser unsystematischen Sammlung haben mittlerweile
fast 300 Psychotherapeuten ausgefüllt. Zusätzlich wurde auch
ihr Alter, Geschlecht, Berufserfahrung, ihr Arbeitsfeld und das Ausmaß
ihrer spezifischen Erfahrungen mit Suizidpatienten erfaßt. Auf eine
Frage nach der therapeutischen Ausrichtung und Berufsausbildung wurde bewußt
verzichtet, um zu vermeiden, daß die Beantwortung nicht allzusehr
durch die persönliche Identifikation mit einer bestimmten Therapieschule
bzw. Berufsgruppe beeinflußt wird. Die detaillierten Ergebnisse dieser
Studie**) werden an anderer Stelle noch ausführlicher dargestellt
(Storck & Dorrmann, in Vorber.). Hier sollen nur die wichtigsten Ergebnisse
berichtet und diskutiert werden.
Von den insgesamt 293 Fragebogen waren 289 für die Auswertung verwendbar.
Davon waren 184 Frauen und 105 Männer. Ihr Alter lag zwischen 26 und
58 Jahren (M = 35,85; SD=6,68). In der Tabelle 1 ist die Rangfolge der
Items in ihrer Ausprägung dargestellt.
Tabelle 1: Die Ängste von Psychotherapeuten (N=289) bezogen
auf suizidale Patienten
Angst-Items |
Ausprägung: Mittelwert
(Standardabw.) |
7. Angst vor den Konsequenzen .
eines Patientensuizids: |
            
3,34 (1,18) |
10. Angst vor Fehleinschätzung u.d.
damit verbundenen Konsequenzen: |
           
3,25 (1,14) |
15. Angst, keine Interventionsmöglich-
keiten zu bieten zu haben: |
           
2,97 (1,25) |
6. Angst vor der Verantwortung: |
          
2,78 (1,29) |
4. Scheu, den Kl. mit seinem bisherigen
"Versagen" im Leben zu konfrontieren: |
        
2,43 (1,23 ) |
8. Angst vor möglichen aggressiven
Impulsen des Patienten: |
       
2,19 (1,12) |
3. Angst vor den möglichen intensiven
Gefühlen des Klienten: |
       
2,04 (1,14) |
12. Angst vor dem Manipuliertwerden
durch den Patienten: |
       
2,00 (1,28) |
14. Angst, die dem Thema angemes-
sene Sprache nicht zu finden: |
      
1,93 (1,19) |
13. Angst vor mangelndem
eignen Einfühlungsvermögen |
     
1,73 (1,13) |
1. Grundsätzliche Angst vor
den Themen "Tod" und "Sterben": |
     
1,72 (1,18) |
11. Angst, den Pat. durch das An-
sprechen `erst auf die Idee zu bringen´: |
   
1,26 (1,17) |
9. Angst, den eigenen Lebenssinn
hinterfragen zu müssen: |
   
0,97 (1,08) |
5. Eigene religiöse/eth. Unsicherheiten
oder Festgelegtheit bzgl. des Themas: |
   
0,94 (0,93) |
2. Vermeidung des Themas wg. mögli-
cher eig. Suizidalität bei ähnl. Lebens-
situationen (A. v. dem eig. Zustimmen): |
  
0,88 (0,97) |
Die allgemeine "Angst vor den Konsequenzen eines Patientensuizids", die
an oberster Stelle steht, spiegelt mit großer Wahrscheinlichkeit
ganz verschiedene Aspekte einer solchen Situation wider, wobei die Angst
vor juristischen Konsequenzen eine große Rolle spielen dürfte.
Das Bedürfnis nach Aufklärung und Sicherheit in juristischen
Fragen wird in den Seminaren sehr oft schon zu Beginn geäußert.
Es entspricht auch der von Pohlmeier formulierten "Angst vor Strafe" (s.o.).
Das hohe Ausmaß dieser Angst müßte insofern überraschen,
als bisher in Deutschland kein Psychotherapeut wegen eines Kunstfehlers
verurteilt worden ist. Diese Tatsache ist jedoch unter Therapeuten kaum
bekannt. Andererseits könnten die Teilnehmer hier auch ihre Ängste
vor Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen, Vorwürfen der Anghörigen,
Rufschädigung u.ä. gemeint haben. In einer Folgestudie sollte
dieses Item wohl etwas differenzierter angeboten werden.
Die beiden in der Rangreihe nachfolgenden Ängste sind solche, die
sich auf Defizite in den diagnostischen und therapeutischen Kompetenzen
beziehen. Demgegenüber ist es sehr auffällig, daß Ängste,
die sich auf die persönlichen Einstellungen zum Suizid beziehen, ganz
am Ende rangieren (2, 5 u. 9).
Bei der Auswertung wurden zunächst auch erhebliche Geschlechtsunterschiede
festgestellt, jedoch zeigte sich, daß die männlichen Teilnehmer
sich von den weiblichen in der durchschnittlich längeren Berufserfahrung
(Mm=8,6J / SD=7,3; Mw=4,8 J / SD=4,5; t=4,51; p < .001), sowie im Alterin
hochsignifikanter Weise unterschieden (Mm=38,2J / SD=7,0; Mw=34,2 / SD=6,0;
t=4,36; p < .001). Zusätzlich bstanden zwischen den Items und dem
Alter sowie der Berufserfahrung zum Teil hochsignifikante negative Korrelationen.
Es lag also die Vermutung nahe, daß die Geschlechtsunterschiede durch
Stichprobenbesonderheiten zustandegekommen sein könnten. Beim Auspartialisieren
der Berufserfahrung änderten sich die Korrelationen der Items mit
dem Alter erstaunlicherweise nur wenig. Das bedeutet, daß die Berufserfahrung
einen geringeren Einfluß auf das Ausmaß der geäußerten
Ängste hat als das Lebensalter. Allerdings müßte letzteres
im Grunde durch eine Längsschnittstudie überprüft werden.
Denn die Hypothese, daß gerade ältere Psychotherapeuten weniger
Möglichkeiten zur Eigentherapie und Selbsterfahrung hatten als jüngere
und damit auch eher dazu neigen könnten, ihre Ängste vor sich
selbst zu verleugnen, ist sehr naheliegend.
Wie die Abbildung
2 zeigt, ließ sich jedoch ein deutlicher Einfluß der therapeutischen
Erfahrung mit suizidalen Patienten feststellen. Diese drei Gruppen unterschieden
sich nicht nach Alter, Geschlecht und Berufserfahrung und waren deshalb
gut vergleichbar. Schon die Grafik zeigt, daß die Ängste der
Gruppe mit den häufigsten Kontakten fast durchweg geringer sind als
die der anderen Gruppen: vor allem die Angst davor, die dem Thema angemessene
Sprache nicht zu finden (14), die Angst vor der Verantwortung (6), die
Angst vor möglichen intensiven Gefühlen des Klienten (3), die
Scheu den Klienten mit seinem bisherigen Versagen zu konfrontieren (4),
die Angst vor möglichen aggressiven Impulsen des Klienten (8), die
Angst den Patienten durch das Ansprechen erst auf die Idee zu bringen (11)
und die Angst keine Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung
zu haben (15). Dies sind vorwiegend Ängste, die sich auf die konkrete
Gesprächssituation mit dem Patienten beziehen. Diese Ergebnisse sind
allerdings nicht so überraschend wie die fehlenden Unterschiede bei
den andern Items. So wäre zwar aufgrund der undifferenzierten Fragestellung
(s.o.) erklärbar, daß die Angst, vor den Konsequenzen eines
Patientensuizids (7) in allen Gruppen in nahezu gleichem Ausmaß geteilt
wird, andererseits ist dies bei der Angst vor dem Manipuliertwerden durch
den Patienten (12) oder der Angst vor mangelndem Einfühlungsvermögen
(13) sehr verwunderlich und schwer interpretierbar. Möglicherweise
werden manche Ängste von unerfahrenen Therapeuten unterschätzt,
die von betroffenen Therapeuten aber sehr stark erlebt werden.
Eine amerikanische Studie in der 285 Psychotherapeuten nach dem Auftreten
von 24 verschiedenen Gefühlszuständen gegenüber ihren Patienten
befragt wurden, ergab, daß das Gefühl, welches die meisten Therapeuten
(97%) in ihrer Arbeit am häufigsten erlebt hatten, die Angst war,
daß einer der Patienten sich das Leben nehmen könnte. Außerdem
beurteilten viele der Teilnehmer ihre eigene Ausbildung speziell bezüglich
des Umgangs mit Gefühlen von Angst und Ärger oder sexuellen Impulsen
gegenüber Patienten als unzureichend (Pope & Tabachnick 1993).
Dies könnte auch auf auf einen spezifischen Nachholbedarf bei erfahrenen
Therapeuten in Bezug auf Ausbildung oder Selbsterfahrung zumindest in den
USA hindeuten.
Inwieweit Psychotherapeuten, die diesen Nachholbedarf decken möchten,
sich von anderen unterscheiden, konnte auch in der vorliegenden Studie
überprüft werden. Einige der Organisatoren dieser 19 Seminare
hatten die Veranstaltung nur für Interessierte ausgeschrieben, während
andere das Seminar für eine geschlossene Ausbildungsgruppe in Verhaltenstherapie
als Pflichtveranstaltung ihres Ausbildungscurriculums anboten. Eine Gegenüberstellung
dieser beiden Gruppen ist in Abbildung 3 zu sehen.
Hier zeigt sich
bis auf eine Ausnahme (8) eine durchweg höhere Ausprägung der
Ängste bei den Teilnehmnern, die sich selbst um diese spezifische
Fortbildung bemühten (S.F.). Signifikant sind diese Unterschiede nur
in bezug auf sehr basale therapeutische Kompetenzen: Die Angst, die dem
Thema angemessene Sprache nicht zu finden (14), die Angst davor, den Patienten
`erst auf die Idee zu bringen' (12) und die eher allgemeine Angst vor der
Verantwortung (6). Die eigenen persönlichen Schwierigkeiten mit der
Suizidproblematik scheinen für die Auswahl eine eher untergeordnete
Rolle zu spielen. Die Möglichkeit, daß in diesen eher verhaltenstherapeutisch
orientierten Ausbildungsgruppen gerade diese Ängste stärker verdrängt
werden als in anderen, ist fraglich, da in diesen Gruppen auch viele Teilnehmer
mit analytisch orientierten und sog. humanistischen Therapieansätzen
zu finden waren, welche die VT-Ausbildung wohl vorwiegend aus pragmatischen
Gesichtsunkten absolvierten.
Macht ein Patient während der laufenden Therapie Andeutungen,
daß er sein Leben beenden möchte, so können gerade die
letzteren Ängste durchaus dazu führen, daß Therapeuten
auf das Thema gar nicht weiter eingehen. Sie akzeptieren jedes andere vom
Klienten neu angeschnittene Problem, oder lenken sogar selbst das Gespräch
in eine andere Richtung. Dabei unterstützen sie sich durch Rationalisierungen
wie: "Man muß in der Therapie möglichst über positive Dinge
reden", "Das war sicher nicht so ernst gemeint" oder (erstaunlicherweise
immer noch) besonders häufig "Wenn man da zu tief einsteigt, bringt
man den Klienten noch mehr auf diese Schiene." Es mag sein, daß hier
auch Abwehrmechanismen eine Rolle spielen, welche die Angst vor dem Tod
an sich widerspiegeln.
Welche Ängste sind in welcher Ausprägung hilfreich und welche
sollte man eher gar nicht haben? Die Regel, daß der Therapeut immer
angstfreier sein sollte als der Patient, wie dies bei der Behandlung von
phobischen Problematiken durchaus sinnvoll ist, muß hier in dieser
Strenge nicht gültig sein. Das Kriterium für eine Bewertung kann
jedoch nur in der Wirkung einer bestimmten Angst auf die Krisenintervention
bzw. den therapeutischen Prozeß zu suchen sein.
So meint z.B Pohlmeier (1982) dazu: "Eine Grundbedingung für Selbstmordverhütung
ist das Eingeständnis der Angst und ihrer Wahrnehmung. Andernfalls
bekommt der Lebensmüde nämlich das Gefühl der Unehrlichkeit,
des Nichternstgenommenwerdens, mangelnder Offenheit, des Mißtrauens
mit der bangen Frage, wie weit kann ich mich dem Helfer anvertrauen, wie
belastbar ist er, wieviel Interesse ist vorhanden." (a.a.O., S.178f) Allerdings
sagt er dann auch, "... daß Selbstmordverhüter ein bestimmtes
Maß an Angstfreiheit, Konfliktfreiheit und Übereinstimmung mit
sich selbst haben müssen, wenn sie diese Tätigkeit erfolgreich
und ausgeglichen ausüben wollen." (S.169).
Dies erscheint wie ein Widerspruch, den Pohlmeier jedoch spätestens
in einem anderen Artikel zum gleichen Thema auflöst indem er schreibt:
"Angst zu bewältigen oder zu beseitigen, wird nicht mehr als erreichbares
Ziel für den Menschen angesehen (...). Es kann nur darum gehen, mit
Ängsten umzugehen und leben zu lernen." (Pohlmeier 1992, S.254)
Thomas Giernalczyk, der seine Arbeit im Bereich der Krisenintervention
(Die Arche; München) ebenfalls auf psychoanalytischer Grundlage betreibt,
greift in diesem Zusammenhang auf den von W.R. Bion geprägten Begriff
des Containing (n. Lazar 1992) zurück. Das heißt, die Aufgabe
des Therapeuten besteht bei Krisensituationen zunächst darin, daß
er "... die negativen und aushaltbaren Gefühle in sich aufnehmen muß,
sie verarbeitet und in verwertbaren Portionen an die Krisenklienten zurückführt.
Wut, Trauer und Verzweiflung containen heißt nicht, sich völlig
mit dem Klienten zu identifizieren und beispielsweise mit ihm zu weinen,
es bedeutet aber, diese Gefühle auf sich wirken zu lassen und sie
nachzufühlen." (Giernialczyk 1995, S.25).
Es existieren einige ältere Studien, welche die Wirkungen der
Emotionen des Therapeuten belegen konnten. Wogan (1970) fand, daß
der Therapieverlauf umso erfolgreicher war, je mehr der Therapeut bei sich
`Ängstlichkeit' und `Somatisierung' registrierte und je weniger er
zu Verdrängungen von Emotionen neigte. Dagegen steht eine Untersuchung
von Yulis und Kiesler (1968) die zeigt, daß hoch ängstliche
Therapeuten weniger in der Lage sind, sich persönlich in die therapeutische
Interaktion zu involvieren als niedrig ängstliche.
In der Supervision von Therapeuten, die gegenüber ihren suizidalen
Patienten aggressive Impulse entwickeln, weil sie sich hilflos fühlen,
war bisher die gängige Strategie, ihr narzißtisches Bedürfnis
nach therapeutischer Omnipotenz zu bearbeiten. Diese psychoanalytische
Herangehensweise wurde von Henseler und Reimer (1981) beschrieben und ist
für die Psychohygiene der Therapeuten in diesem Arbeitsfeld wohl eine
wichtige Hilfe. Allerdings fällt dabei das oft noch naheliegendere
Problem, nämlich, daß viele Therapeuten sich mit Recht inkompetent
fühlen, weil sie nicht genügend auf solche Situationen vorbereitet
wurden, unter den Tisch.
Da inzwischen eine große Zahl der Seminarteilnehmer, wie oben
schon erwähnt, den Fragebogen auch nach dem Seminar ausgefüllt
hat, ist eine weitere Analyse der vorliegenden Daten vorgesehen. Die Frage
dabei wird sein, inwieweit es möglich ist, diese Ängste durch
ein solches Trainingsseminar zu beeinflussen. Nachdem manche Ängste
vor dem Seminar in sehr geringer Ausprägung vorhanden sind, könnte
es durchaus sein, daß die Teilnehmer für manche eigenen Ängste
erst durch die im Training erfahrene Konfrontation mit dem Thema sensibilisiert
werden. Andererseits wäre zu wünschen, daß bei anderen
Ängsten, wie zum Beispiel der in dieser Untersuchung an dritter Stelle
stehenden `Angst, keine Interventionsmöglichkeiten zur bieten
zu haben' eine Verringerung stattfindet.
Literatur:
- Dorrmann, W. (1996; 2.Aufl.). Suizid. Therapeutische Interventionen bei
Selbststötungsabsichten. München: Pfeiffer
- Giernalzcyk, T. (1995). Lebensmüde. Hilfe bei Selbstmordgefährdung. München:
Kösel
- Henseler, H. & Reimer, Ch. (Hgg) (1981). Selbstmordgefährdung. Zur Psychodynamik
und Psychotherapie. Stuttgart: frommann-holzboog
- Lazar,R.A. (1992). Container - Contained und die helfende Beziehung. In:
Erdmann, M. (Hrsg). Die hilfreiche Beziehung in der Psychoanalyse. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht
- Pohlmeier, H. (1982). Selbstmordverhütung als Praxisfeld der Medizinischen
Psychologie. In
Pohlmeier (Hg.): Medizinische Psychologie und Klinik. Stuttgart. Verlag für
angewandte Psychologie
- Pohlmeier, H. (1992). Ängste des Therapeuten als typisches Therapieproblem im
Umgang mit Suizidpatienten. In: Wedler H. et al. (Hg.). Therapie bei
Suizidgefährdung. Regensburg: Roderer S.249-254
- Pope K.-S. & B.G. Tabachnick (1993). Therapists' anger, hate, fear, and sexual
feelings: National survey of therapist responses, client characteristics,
critical events, formal complaints, and training. Profess. Psychol. Research and
Practice, 24(2), 142-152
- Wogan, M. (1970) Effekt of therapist-patient personality variables on
therapeutic outcome. J. o. Consulting Psychology, 35, 356-361
- Yulis, S, & Kiesler, D.J. (1968). Countertransference response as a function of
therapist anxiety and content of patient talk. J. of Consulting and Clinical
Psychology, 32, 413-419
Ergänzende Literaturhinweise:
- Dorrmann, W. (1998). Suizidale Patienten: Wie geht es den Therapeuten? Motive -
Ängste - Psychohygiene. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 30(1),
33-45
- Dorrmann, W. (1999; in Vorber.). Verhaltenstherapeutische Interventionen bei
Suizidalität. Fundamenta Psychiatrica, 13
- Storck, I. & Dorrmann, W. (i. Vorber.). Die Veränderung der Ängste von
Psychotherapeuten vor Situationen mit suizidalen Patienten durch ein
Trainingsseminar zum Thema "Krisenintervention bei Suizidalität".
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