Günstige therapeutische Grundeinstellungen

für die Arbeit mit suizidalen Patienten

Auszug aus Dorrmann, W. (1996; 2. Aufl.). Suizid. Therapeutische Interventionen bei Selbsttötungsabsichten. München: Pfeiffer

Im Laufe meiner Arbeit und in vielen Diskussionen mit Kollegen habe ich zu folgenden therapeutischen Grundeinstellungen gefunden, die ich gegenüber suizidalen Patienten als besonders hilfreich erlebe. Ich stelle sie deshalb auch gerne in meinen Seminaren zur Diskussion und denke, dass sie für Kollegenteams, die sich mit solchen Krisensituationen befassen müssen, ein Ausgangspunkt für eine gemeinsame Reflexion sein könnten:

  1. Ich kann letztlich niemanden davon abhalten, sich das Leben zu nehmen.
  2. Es hilft dem Patienten, wenn er merkt, dass ich meine Angst davor, dass er sich umbringen könnte, aushalten kann.
  3. Solange jemand andere an seiner Tat Anteil nehmen lässt, oder z.B. mich in sein Vorhaben einweiht, will er noch irgendwas. Genau das berechtigt mich zur Hilfe oder zum Handeln.
  4. Ich bin mir sicher, dass ich selbst viele extreme Lebenssituationen durchstehen bzw. ertragen würde (ev. ausgenommen sind Krankheiten im finalen Stadium).
  5. Bei Suizidabsichten können die üblichen sinnvollen therapeutischen Regeln oder Prinzipien unsinnig werden und vorübergehende Ausnahmen gemacht werden.
  6. Wenn ich mich überfordert fühle, werde ich umgehend Inter- oder Supervision beanspruchen oder eine stationäre Unterbringung vorschlagen bzw. einleiten.
  7. Mit einer unfreiwilligen Einweisung hebe ich die Autonomie des Patienten auf und beende damit die therapeutische Beziehung. Diese sollte dann nur auf ausdrücklichem Wunsch des Patienten und nach ausführlicher Reflexion weitergeführt werden.
  8. Wenn ich in Diagnostik und Interventionen nach meinem besten Wissen und Möglichkeiten gehandelt habe, und ein Patient dennoch den Tod gewählt hat, werde ich mir nochmals klar machen, dass ich letztlich niemanden davon abhalten kann (siehe 1.). - Ich bin nichts schuldig, außer zu reflektieren, auf welche Hinweise ich noch zusätzlich hätte achten können. - Ich werde umgehend mit den nahen Angehörigen oder nahestehenden Mitpatienten Kontakt aufnehmen (wegen deren in der Folge oft erhöhtem Suizidrisiko).

 

 


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Letzte Bearbeitung: Sonntag, 22. Februar 2009